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Gegen den Strom schwimmen

Marco Planitzer, diplomierter Hôtelier-Restaurateur, sammelte jahrelang Berufserfahrung an den besten Adressen der Schweizer Gastronomieszene. Zuletzt war er Maître d'hôtel und Food and Beverage Manager im Hotel Ermitage in Schönried. Ab November wird er die Geschicke der Traube leiten und das Gasthaus als junger, kreativer und aufgeschlossener Gastgeber wesentlich mitprägen. Passend dazu sassen wir ganz unkonventionell auf einem Schutthaufen mitten in der Baustelle beisammen, um über Visionen, Spiegeleier und seinen Traumjob zu reden.

Interviewerin: Marco, erzählst du uns ein bisschen von dir? Wer bist du? Woher kommst du?

Gerne. Mein Name ist Marco Planitzer, ich bin 34 Jahre jung und komme ursprünglich aus Sevelen, genau wie meine Mutter Colette Planitzer. Mein Vater, Walter Planitzer, stammt aus der Steiermark in Österreich. Kennengelernt haben sich meine Eltern vor vierzig Jahren im liechtensteinischen Triesen, beim Feierabendbier. Mein Vater blieb seinem Lehrberuf treu und machte als Koch Karriere. Seit 1990 führt er erfolgreich das Restaurant im Berufs- und Weiterbildungszentrum bzb in Buchs. Ihm habe ich wohl meine Leidenschaft für die Gastronomie zu verdanken. Was könnte ich noch über mich erzählen? Ich gehe mit offenen Augen durch die Welt, verfüge über einen ausgeprägten Vorwärtsdrang und liebe es, mich weiterzuentwickeln und herauszufordern.

Du hast trotz deines jungen Alters schon viele bedeutende Stationen in der Gastronomie durchlaufen und die Welt bereist. Nimmst du uns mit auf deine Reise?

Mein beruflicher Werdegang startete mit einer kaufmännischen Lehre im Dienstleistungsbereich der Kälte- und Wärmetechnik. Ich bin froh um diese Grundausbildung, merkte aber bald, dass ein reiner Bürojob auf die Dauer nichts für mich ist. Es folgte ein Sprachaufenthalt in der Westschweiz, wo ich zum ersten Mal in einem Restaurationsbetrieb hinter dem Buffet landete. Da hat es mir den Ärmel reingezogen. Fortan ging ich meinen Weg in der Gastronomie, der mich vor und nach der Hotelfachschule in Thun nach Arosa und Ascona, Bad Ragaz und Weggis, Grindelwald, Sax und Konolfingen und zuletzt nach Basel und Schönried bei Gstaad führte. Dabei durfte ich in an den besten Adressen Erfahrungen sammeln, etwa im Bürgenstock Resort in Obbürgen, im Restaurant Berower Park der Fondation Beyeler in Basel oder im Hotel Ermitage in Schönried. Dazwischen reiste ich ein Jahr lang durch die Welt. Ich folgte beruflich keinem klaren Konzept, liess mich vielmehr treiben und realisierte erst im Nachhinein, dass meine Karriere im Grunde von Anfang an steil nach oben verlief.

«Ich nehme diese Herausforderung zusammen mit dem Traube-Team dankbar an.»

Erzählst du uns etwas mehr über deine Weltreise?

Von März 2018 bis März 2019 nahm ich mir eine Auszeit und reiste mit meiner damaligen Partnerin ein halbes Jahr durch Afrika und ein halbes Jahr durch Südamerika. Wir achteten darauf, so authentisch wie möglich unterwegs zu sein, nutzten die öffentlichen Verkehrsmittel und ergriffen jede Gelegenheit, in Kontakt mit den Einheimischen zu kommen. Es war eine tolle Zeit und eine grossartige Erfahrung. Durch die vielen schönen Erlebnisse blieb mein Herz vor allem in Afrika hängen. Es waren die gelebten Werte, die enorme Herzlichkeit und Gastfreundschaft der Menschen, die mich geprägt haben. Aber auch die Gegensätze begeisterten mich – das Geordnete in der Schweiz und das Durcheinander und teilweise Chaotische in Afrika. Beides funktioniert auf seine individuelle Weise.

Nun bist du zurück in der Heimat und wirst ab November das Gasthaus Traube führen. Wie kam es dazu?

Den Kontakt zu Kathrin Schertler Secli und Ivan Secli (Besitzer des Gasthaus Traube, Anm.) habe ich meinem Papa zu verdanken. In seiner Funktion als Restaurant Manager der Mensa des bzb, wird er gerne von Ivan als Caterer für die Secli Weinwelt gebucht. Eines Tages kamen die beiden auf die Traube zu sprechen und so kam mein Name als möglicher Geschäftsführer ins Spiel. Wir setzten uns gemeinsam an einen Tisch und waren von Anfang an auf einer Wellenlänge. Die Gespräche mit Kathrin und Ivan waren herzlich und konstruktiv. In mir schlummerte schon immer der Gedanke, eines Tages eine solche Position einzunehmen. Nun bin ich überglücklich und nehme diese Herausforderung zusammen mit dem Traube-Team dankbar an.

Was reizt dich besonders an deiner neuen Aufgabe?

Einerseits ist es mir eine Ehre, Geschäftsführer dieses traditionsträchtigen Gasthauses zu sein. Andererseits bringt dieser Titel auch eine Menge Verantwortung mit sich. Es ist aber genau das, was mich reizt. Ich fordere mich gerne heraus. Mir gefällt es, mich ausserhalb der Komfortzone zu bewegen. Dafür schlägt mein Herz, das treibt mich an, – sowohl beruflich als auch privat.

Hast du ein Rezept, wie du mit dieser grossen Verantwortung umgehen wirst?

Ein Rezept aus dem Kochbuch gibt es dafür leider nicht (lacht). Wie soll ich das sagen? Ich bin einer, der lieber liefert statt lafert. An eine neue Aufgabe gehe ich mit hundertprozentiger Leidenschaft heran. Dabei nehme ich einen Schritt nach dem anderen. Ja, das ist wohl mein persönliches Rezept: eines nach dem anderen Nehmen und nichts überstürzen.

Wir sitzen an diesem schönen Sommerabend im Juli sehr bequem auf diesem Schutthaufen mitten auf der Baustelle. Die Situation, von Anfang an bei einem Konzept mitwirken zu können, ist neu für dich.

Absolut und ich liebe es! Es ist grossartig mitzuerleben, wie aus einer Idee langsam Realität wird, und die Entstehung der «neuen» Traube hautnah mitzuerleben. Wir ziehen alle am gleichen Strick und wollen dasselbe, nämlich einen Ort der Begegnung schaffen. Das Gasthaus Traube soll ein Ort sein, in dem Werte gelebt werden. Dabei werden wir auch gegen den Strom schwimmen und Neues wagen. Dieser Grundgedanke entspricht mir sehr.

«Gegen den Strom schwimmen» und «Neues wagen» – das hört sich interessant an.

Es bedeutet, dass wir offen und neugierig an die Sache herangehen und als innovatives und dynamisches Gastronomieunternehmen neue Massstäbe setzen wollen. Ein simples Beispiel: Es ist üblich, dass Service-Mitarbeitende Zimmerstunde haben. Aber wer sagt, dass dies die beste Lösung ist, nur weil man es immer so gemacht hat? Wir wollen die Zimmerstunde ersetzen mit durchgehenden Arbeitszeiten, um dadurch attraktive Arbeitsbedingungen zu schaffen für unsere Mitarbeitenden. Wir legen viel Wert auf eine ausgewogene Work-Life-Balance.

«Mir liegt viel daran, immer einen Schritt voraus zu sein.»

Ein gutes Stichwort. Wie steht es um deine persönliche Work-Life-Balance?

Freunde, Familie, Ausgang, gutes Essen – das war mir immer wichtig. Ich bin ein geselliger Mensch, der soziale Kontakte schätzt. Wenn ich mich wohlfühle, geniesse ich den Moment und sage nicht Nein zu einem guten Glas Wein oder zwei (lacht). Hauptsache, die Gesellschaft stimmt. Ich kann mit gutem Gewissen sagen, dass es mir bis jetzt immer gelungen ist, mir meinen persönlichen Ausgleich zur Arbeit zu schaffen.

Noch bleiben ein paar Wochen bis zur Eröffnung im November. Wie sieht momentan ein typischer Tag für dich aus?

Ich stehe um acht Uhr auf und gönne mir zuerst einen Kaffee. Danach bin ich fit und setze mich an den Computer, wo ich E-Mails kontrolliere und bearbeite. Momentan bekomme ich zahlreiche Bewerbungen für unsere diversen Stellenausschreibungen. Diese versuche ich zeitnah zu sichten. Ein grosses Thema ist gerade das Kassen- sowie das Reservierungssystem. Da geht es darum, die richtigen Partner zu finden. Mit Daniel Gundling, unserem Chefkoch, tausche ich mich täglich aus. Das ist mir wichtig, schliesslich wollen wir uns gegenseitig unterstützen und entwickeln. Zudem arbeiten und feilen wir zusammen am gastronomischen Konzept. Mir liegt auch viel daran, immer einen Schritt voraus zu sein. Ich organisiere deshalb heute schon Dienstpläne, kümmere mich um Budgetfragen, das Lohnwesen, solche Dinge. Und zwischendurch gönne ich mir natürlich eine Kaffeepause. Pro Tag bringe ich es momentan auf zehn bis fünfzehn Tassen Kaffee. Ich gebe es zu, ich bin ein Fan, weshalb ich auch froh bin, dass sich Kathrin und Ivan bereits um die perfekte Kaffeemaschine samt hauseigener Kaffeemischung gekümmert haben (lacht).

Du erwähnst die vielen Bewerbungen, die derzeit eingehen. Wie wählst du die perfekten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Service, Küche und Office aus?

Durch meine langjährige Erfahrung in der Gastronomie durfte ich schon sehr, sehr viele Bewerbungsgespräche durchführen. Generell ist mir wichtig, dass das Herz der zukünftigen Mitarbeitenden für die Gastronomie und das Menschliche schlägt. Ich merke ziemlich schnell, ob jemand nur gut reden kann oder ob auch etwas hinter den schönen Worten steckt.

Verrätst du uns einen Trick?

Die Köche fordere ich gerne spontan auf, mir ein Spiegelei zu braten. Das kann man fast überall. Es ist spannend zu beobachten, wie sie auf diese Aufforderung reagieren. Bleiben sie locker und entspannt? Werden sie nervös oder geraten in Stress? Man kann aber noch mehr daraus lesen. Wohin geben sie zum Beispiel das Salz? In die Pfanne oder auf das Eigelb?

Ich bin gespannt!

Das Salz gehört meiner Meinung nach in die Pfanne. Gibst du das Salz nämlich auf das Eigelb, gibt es diese kleinen weissen Punkte, – was natürlich schade ist für die Ästhetik (lacht). Die Schönheit liegt ja oft im Einfachen. Und auch ein simples Spiegelei lässt sich mit viel Liebe und Leidenschaft zubereiten. Natürlich geht es dabei um mehr als das Spiegelei. Es lässt sich vieles daraus ableiten. Konkret: Wir geben viel. Aber wir haben auch eine klare Erwartungshaltung an unsere Mitarbeitenden.

Reden wir von Stärken und Schwächen. Wie beurteilst du dich selber in dieser Hinsicht?

Zu meinen Stärken zähle ich sicher meine ausgeprägte Dienstleistungsbereitschaft und Kommunikationsfähigkeit. Ich bin offen für Neues und Fremdes. Wenn ich etwas mache, stehe ich hundertprozentig dahinter. Auch meine Mitarbeitenden werden rasch merken, dass ich hinter ihnen stehe. Eine Schwäche ist vielleicht, dass ich nicht wirklich ein Morgenmensch bin. Und: Klar, durch mein noch relativ junges Alter passieren auch Fehler. Fehler sehe ich jedoch nicht grundsätzlich als Schwäche an, solange ich daraus lerne. 

Das bringt mich zur nächsten Frage: Worin siehst du die grösste Herausforderung?

Die grösste Herausforderung sehe ich darin, dass wir im November bei null anfangen. Auch wenn ich den perfekten Spiegeleitest durchführe, wird sich erst in der Praxis zeigen, ob ich mich richtig entschieden habe. Denn: Wir können unsere zukünftigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht vorab testen. Wir eröffnen im November, dann erst kann das Team zusammenwachsen, können sich die Abläufe einspielen. Wie gesagt: die Traube wird nicht Standard sein. Wir wollen mit unserem Konzept viele unterschiedliche Gäste ansprechen. Das ist sehr spannend, aber auch eine grosse Herausforderung, vor der ich Respekt habe.

Du sprichst gerade die Gäste an. Was ist dein Wunsch, respektive deine Erwartungshaltung an sie?

Von unseren Gästen erhoffe ich mir in erster Linie Ehrlichkeit. Ich bin realistisch und denke, dass nicht alles vom ersten Tag an reibungslos laufen wird. Mein Wunsch an sie ist deshalb ein offenes und konstruktives Feedback. Und natürlich erhoffe ich mir eine gewisse Toleranz. Man darf uns aber auch loben, wenn wir unsere Sache gut machen. Oder, wie eine Kollegin im Berner Oberland zu sagen pflegt: «Nid gschumpfa isch gnuag globt!» (lacht). Das bedeutet: Wenn der Gast nichts sagt, ist es ein Lob. Wenn er schimpft, weißt du, dass du es beim nächsten Mal besser machen musst. 

Wie ist deine Vision für die Traube?

Die Vision aller Beteiligten ist, dass die Traube der Begegnungsort wird für die Region. Die Gäste sollen sich wohlfühlen, sich austauschen, Freundschaften schliessen, feiern, diskutieren, geniessen. Ein Begegnungsort ist ein Ort, wo ein Mensch sein darf, wie er ist. Wichtig ist, dass die Gäste bei uns schöne und genussvolle Momente erleben können – sowohl menschlich wie auch kulinarisch. 

Eine Vision ist auch, dass die Traube über die Region hinaus Bekanntheit erlangt. Wir gehen ja oft ein bisschen vergessen. Man hält entweder am Walensee an oder fährt an uns vorbei ins Bündnerland. Unser Gasthaus soll jedoch die Menschen von ausserhalb dazu veranlassen, uns einen Besuch abzustatten und dabei unsere schöne Region kennenzulernen. 

Womit befasst du dich gerne, wenn du nicht arbeitest?

Ich bin ein absoluter Bewegungsmensch. Wenn möglich, versuche ich mindestens zwei Mal pro Woche mit dem Mountainbike eine Tour zu machen. Ab und zu spiele ich eine Partie Tennis. Sehr gerne bin ich in den Bergen unterwegs. Die schönste Jahreszeit ist für mich der Winter. Ich liebe das Skifahren und Langlaufen, mit allem Drum und Dran. In der Natur gelingt es mir am besten, meinen Kopf durchzulüften, Probleme oder Schwierigkeiten hinter mir zu lassen. Meine Auszeiten verbinde ich auch sehr gerne mit einem Besuch in einem guten Restaurant oder schönen Hotel, wo ich mich von A bis Z verwöhnen lasse.

Hast du einen Tipp für uns? 

Momentan schätze ich das Hotel Cervo in Zermatt. Für mich ist dies eine schöne Adresse mit einem tollen Konzept. Als Gast fühlt man sich in diesem Fünfsterne-Hotel sehr willkommen, da man zuvorkommend behandelt wird, dies jedoch mit einer Leichtigkeit und auf eine sehr persönliche, wertschätzende und unkomplizierte Art und Weise.

Vielen Dank Marco für das tolle Gespräch.

 

Interview: Doris Büchel
Fotos: Roland Lichtensteiger

Tabula Rasa

Was machst du am Morgen zuerst? Kaffee trinken. Welche wichtigste Eigenschaft müssen deine Mitarbeitenden mitbringen? Ehrlichkeit. Was ist Chefsache? Die Reklamationspolitik. Welches gastronomische Erlebnis möchtest du unbedingt einmal erleben? Einen Besuch im Restaurant von Paul Bocuse in Paris.

 

Wohin zieht es dich immer wieder? Ins Berner Oberland. Wo möchtest du noch hin? Nach Ghana. Was findet man immer in deinem Kühlschrank? Einen guten Bergkäse. Wen möchtest du irgendwann einmal in der Traube begrüssen? Roger Federer. Was würdest du ihn fragen? Wie gehst du mit den hohen Erwartungen um?