Es kursieren auch Vorurteile: Hier die produktive, fleissige Lerche – da die träge, langsame Eule. Was halten Sie davon? Ich meine, Eulen haben doch auch ihre Vorzüge, oder?
Absolut! Jemand muss schliesslich auch am Abend und in der Nacht funktionieren, leistungsfähig, kreativ und emotional ausgeglichen sein. Dann, wenn viele schon ihren Feierabend geniessen. Wobei ich meine, dass man die beiden Chronotypen nicht so qualifizieren sollte. Es ist nicht der eine oder andere Typus mehr oder weniger leistungsfähig. Im Gegenteil. Unsere Uhren ticken einfach anders. Und überhaupt, um etwas polemisch zu sein: Lassen wir Eulen doch den Lerchen ihre Würmer!
Sie haben mir am Anfang des Gesprächs verraten, dass Sie zu den Eulen gehören. Wie handhaben Sie persönlich Ihren Alltag? Ausschlafen liegt neben Beruf, Familie und Alltag vermutlich nicht drin, oder?
Ich trickse meine innere Uhr mit Hilfe von Licht aus.
Wie bitte?
Ich versuche, meine zirkadiane Rhythmik zu beeinflussen, indem ich Tageslichtlampen verwende, die ich nach dem Rhythmus benutze, an den ich mich anpassen muss. Konkret: Ohne Tageslichtlampe würde ich morgens vermutlich zwischen acht und neun Uhr aufwachen. Mit den Lampen schaffe ich es, um halb sieben aufzustehen.
Spannend! Wie funktioniert das konkret?
Es ist unkompliziert. Ich stehe regelmässig zur sozial geforderten Zeit auf, verwende die Tageslichtlampen im Bad, zum ersten Kaffee am Morgen, aber auch am Arbeitsplatz und in den eigenen vier Wänden. Das heisst, ich verwende das Tageslicht vom Aufstehen bis zum späten Nachmittag. Ab dem späten Nachmittag bis zum morgendlichen Aufstehen achte ich auf eher gelbliches, warmes Licht und aktiviere den Blaufilter der elektronischen Displays. That’s it.
Das bedeutet, dass man seine innere Uhr durchaus anpassen kann.
Stimmt, aber es erfordert Disziplin. Man kann es sich so vorstellen: Der «äussere Tag» zählt genau 24 Stunden. Der «innere Tag» zählt jedoch ungefähr 24 Stunden. Konkret: die innere Uhr der Eule tickt im Durchschnitt rund zwölf Minuten länger als die äussere. Wenn beispielsweise die Eule, die den Tag vornehmlich in Innenräumen zubringt, nicht bewusst jeden Tag ihre innere Uhr stellt, kann sich ihre innere gegenüber der äusseren Zeit verschieben. Bei blinden Menschen ohne Lichtempfindung oder bei Menschen in völliger Isolation von der Aussenwelt setzt sich der eigene Rhythmus durch. Ein Beispiel: Nach fünf Tagen könnten sie eine Stunde später dran sein, nach 120 Tagen fehlt ein ganzer Tag. Menschen in Isolationsexperimenten vermissen diesen Tag nicht. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Mithilfe des Licht-Tricks kann man diese natürliche Verzögerung stoppen oder gar eine Vorverlagerung erreichen. Aber wie gesagt, es erfordert Disziplin.
Eine Stunde lang rede ich mit Stefan Telser, und beim Philosophieren mit ihm wird mir klar, dass es beim Thema Schlaf um wesentlich mehr geht als: «Augen zu, Augen auf, und dazwischen passiert etwas.» Er bestätigt: «Fängt man an, darüber zu sprechen und in die Tiefe zu gehen, eröffnet sich ein ganzer Kosmos an Zusammenhängen mit unserem Alltagsleben.» Schlafen ist ein Grundbedürfnis. Genau wie essen, trinken, verdauen, ausscheiden. Werden uns diese vegetativen Funktionenverweigert, funktionieren wir nicht. Wir geraten in Not. Schlafen fasziniert. Und gerade weil der Schlaf so grundlegend, so komplex und faszinierend ist, muss man ihm sein Recht einräumen. Nur könne man, so Stefan Telser, nicht immer und überall schlafen. «Stellen wir uns vor, wir hätten uns vor dreissigtausend Jahren unter einen Baum gelegt zum Schlafen. Die Chance, dass uns ein wildes Tier gefressen hätte, wäre riesengross gewesen. Das heisst, unsere Schlaf-Wach-Gewohnheiten waren schon immer einer gewissen Kontrolle unterworfen. Solange wir uns jedoch anpassen können, ist alles gut.»