Meine Streiflichter des Glücks
Manchmal gehe ich in die Traube, um zu schreiben. So wie jetzt. Meistens zieht es mich ins Gartenzimmer, ganz nach hinten, auf die Bank mit dem moosgrünen Polster und den wenigen Kissen. Dort, an dem kleinen runden Tisch, in «meiner» Ecke, fühle ich mich besonders wohl. Warum eigentlich?
Ist es der Blick in die Weite, den ich von hier aus geniesse? Dass ich mich etwas zurückziehen kann und doch offen bin für Begegnungen – ein «Grüezi» hier, ein «Hoi» dort? Liegt es daran, dass ich mich hier drinnen immer auch ein bisschen draussen fühle? Ich meine, selbst an einem milden Herbsttag wie heute ist die raumhohe Fensterfront fast ganz geöffnet, ab und zu streift ein Lüftchen meine Haut, ein Windhauch trägt ein Stück Alltag zu mir hinein – einen aufheulenden Motor, Gesprächsfetzen von einem Schwätzchen auf dem Trottoir. Derweil singt drinnen Bob Marley «no woman, no cry», und meine Füsse wippen im Rhythmus der Musik unter dem Tisch.
Und dann diese Farben – das zarte Grün, das warme Rosa, das helle Holz mit seiner Maserung – nichts drängt sich auf. Die ganze Umgebung gibt meinen Gedanken Raum. Überhaupt ist das für mich eines der Geheimnisse der Trauben-Oase – Schönes, soweit das Auge reicht, und doch von nichts zu viel. Nichts drängt sich auf.
Ich freue mich auf den ersten Schluck Wasser, das im Glas sprudelt. Und vielleicht bestelle ich später etwas zu essen. Das weiche Leder der Speisekarte, das Papier unter meinen Fingern – zarte Versuchung. Und wie es dampft aus dem Teller. Ich liebe heisses Essen. Gabel und Messer liegen schwer und vertraut in meiner Hand, ich überlege mir zweimal, ob ich mir den Mund mit der frisch gestärkten Leinenserviette abwische. «Isn’t she lovely» wabert es aus den Boxen – wo verstecken sie sich? Und wieder wippen die Füsse unter dem Tisch. Später der erste Schluck Espresso aus der Tasse, die sich mit ihrer glatten Oberfläche perfekt an meine Hand schmiegt.
Unter mir der Boden, ein Terrazzo mit eingelegten roten Verrucano- und den grünen Andeersteinen. Haben Sie schon realisiert, dass die grünen Steine zunehmen, sich verdichten, grösser werden, je näher sie zum Garten kommen? Über mir die filigra- nen Lampen, wie goldene Kugeln, die vom Himmel fall en. Und plötzlich denke ich an den Planeten Mars. Wieso der Mars, mögen Sie denken. Aber wissen Sie was? Für mich ist es genau so. Diese Ecke hier ist mein kleiner Mars, mein Schreibort. Inspiration.
Wenn man sich Zeit nimmt, die Umgebung wahrzunehmen, kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Die deutsche Schriftstellerin Gabriele von Arnim teilt in ihrem Buch «Der Trost der Schönheit» Gedanken wie diese:
«Vielleicht ist auch das eines der Geheimnisse der Schönheit: Wenn man lange und langsam schaut, gerät man in eine kleine – der Zeit enteilende – Trance. Es lösen sich anerzogene Erstarrungen wie Schuppen von ausgetrockneter Haut, zerstauben. Und es bleibt ein sanftes Innen, ein zarter Sinn. Auf einmal setzt sich ein scheues Lächeln ins Gesicht, das sich ganz allmählich selbstbewusst ausbreitet, vom Kinn über die Wangen und Augen bis zur Stirn.»
Ja.
Ist Ihnen das alles immer noch zu romantisch und verklärt? Keine Sorge, ich versichere Ihnen: Ob Sie die Schönheit in den kleinen Dingen finden oder einfach nur einen Stuhl und ein gutes Essen suchen – Sie sind so oder so in der Traube willkommen.