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Lieber machen als planen

Wer in der Traube zu Gast ist, kommt nicht um die gestalterische Handschrift des Buchser Grafikers Adrian Scherrer herum. Von ihm stammen Logo, Bautafeln, Schilder an den Türen, die Speisekarten – sogar bei den Tapeten auf den Toiletten wirkte er mit (haben Sie das goldene Schweinchen schon entdeckt?). Gerne stellen wir Ihnen den Mann vor, der von sich behauptet, er sei «Wald-und-Wiesen-Grafiker». Und reden dabei auch über die Kunst.

Adrian, wie fühlt es sich an, wenn du heute durch die Traube gehst?

Adrian Scherrer: Genial! Es ist schön, dass sich das Grafische nun in Messing, Holz, als Tapetenmuster und auf Papier materialisiert.

Was drückt (noch) stärker durch: Dein kritisches Auge oder der Genuss über das Erreichte?

Absolut der Genuss! Bis auf die Woopies wusste ich ja ziemlich genau, wie es werden wird.

Ein gutes Stichwort: Aus deiner Hand stammen nicht nur die grafischen Elemente, die sich durch das ganze Gasthaus ziehen, sondern auch die Woopies, diese Lärmschutzelemente in Form von Wolkenbildern an der Decke des Traubensaals. Wie siehst du dich selber? Bist du eher der Künstler mit dem Kopf im Himmel? Oder der Grafiker mit den Füssen fest auf dem Boden?

Das Gute an meinem Beruf ist: Ich muss mich nicht entscheiden, die Übergänge sind fliessend. Sowohl die Malerei als auch die Illustration oder Typografie ist eine fantasievolle Art, visuell Geschichten zu erzählen. Nur die Technik ist eine andere.

Gehen wir noch einmal einen Schritt zurück. Wie hat die Zusammenarbeit mit der Traube begonnen? Ich vermute, mit einem weissen Blatt Papier …

Ich gehe jeweils stark von dem aus, was mir meine Auftraggeber erzählen. Im Fall der Traube waren dies Kathrin (Katharina Schertler Secli, Inhaberin) und Ruth (Ruth Kramer, Interior Design, Anm.). In mehreren Gesprächen – die in mir schon sehr viel auslösen – erzählten sie mir von ihrer Vision. So gesehen starte ich nicht mit einem weissen Blatt Papier, sondern damit, mit meinen Kunden zu reden. Natürlich geht es bei jedem Auftrag auch immer um meine eigene Haltung. Innerhalb dieser erarbeite ich diverse Varianten, die ich dem Kunden dann präsentiere. So kanalisiert sich meine Vorstellung mehr und mehr, bis irgendwann völlig klar ist, in welche Richtung es gehen soll. Ich arbeite gerne auf diese Weise. Es geht schliesslich nicht in erster Linie darum, was mir gefällt, sondern was für den Kunden passt. Die Zusammenarbeit mit Kathrin und Ruth war übrigens genial, es funkte sofort zwischen uns. Schon bald zeigte ich ihnen erste Ideen, darauf gaben sie mir Feedback, es entstand eine Art Kettenreaktion, es zündete.

Du hast als Grundelement das berühmte Gemälde «Garten der Lüste» des niederländischen Malers Hieronymus Bosch ausgesucht. Wie kam es dazu?

Die Idee, mit diesen Bildern zu arbeiten, schlummert schon lange in mir. Als es um die grafische Umsetzung der Traube ging, war mir klar: Jetzt passt es! Das Bild entstand vermutlich in der Zeit zwischen 1490 und 1500 und befindet sich heute im Museo del Prado in Madrid. Wenn man die vier zusammenhängenden Gemälde genau betrachtet, fällt auf, wie unglaublich frei und schön sie sind. Das Nebeneinander von Menschen verschiedener Hautfarben, das friedliche, aber auch lustvolle Zusammenleben von Menschen und Tieren – all dies präsentiert uns der Künstler auf eine unglaublich ästhetische Art und Weise. Ich finde das Bild auch sehr zeitgemäss. Es zeigt uns, wie wir heute miteinander leben könnten. Was möglich wäre. Was mir an diesem Bild auch gefällt: Es geht in irgendeiner Form immer um den Genuss – um Essen und Trinken. Der Genuss ist sowohl im Gemälde, wie auch im Restaurant Traube zentral.

Gibt es bereits Rückmeldungen? Ich meine, wie sind die Reaktionen der Betrachter:innen?

Ja, schon die grosse Bautafel an der Hauptstrasse gab einige Rückmeldungen, was mich sehr gefreut hat. Eine Kollegin lief mit ihren Kindergärtnern vorbei, da wollten die Kleinen unbedingt stehen bleiben und das Bild genauer betrachten. Was ich sicher sagen kann: Die Bildausschnitte lösen etwas in den Menschen aus.

«Es geht weniger darum, wo man ist, als wer man ist und wie man die Dinge betrachtet.»

Themenwechsel: Damit wir dich etwas besser kennenlernen, erzählst du uns etwas über dich? Wer bist du? Woher kommst du?

Gerne. Ich bin Adrian Scherrer, aufgewachsen ganz hier in der Nähe, im Plattnach. Hier ging ich in den Kindergarten. Hier hatte ich meine Hütte mit Bruno und Robin, wo wir unsere ersten Brissagos und Zigaretten rauchten, bis es aus allen Ritzen qualmte. Man kann also sagen, dieses Quartier Altendorf ist «meine» Ecke. Ansonsten bin ich nicht wirklich weit gekommen (lacht). Ich bin jedoch überzeugt davon: Es geht weniger darum, wo man ist, als wer man ist und wie man die Dinge betrachtet. Ich bin sehr gerne in der Natur – auf Skitouren, am Klettern, Wandern, Gleitschirmfliegen. Ich bewege mich gerne draussen, so tanke ich auf.

Nach meiner Grafikerlehre arbeitete ich zwei Jahre lang in einer Zürcher Werbeagentur. Dann wurde ich Vater und meine Prioritäten verschoben sich. Also wagte ich den Versuch und machte mich hier im Buchser Quartier Altendorf selbstständig. Als mutig würde ich meinen Schritt in die Selbstständigkeit nicht unbedingt bezeichnen. Vielmehr war es so, dass ich nichts zu verlieren hatte. Ich habe einfach gemacht. Erst im vergangenen Jahr rechnete ich zum ersten Mal aus, was mich diese Selbstständigkeit eigentlich grundsätzlich kostet. Hätte ich dies vor achtzehn Jahren gemacht, hätte ich den Mut vermutlich nicht gehabt (lacht). Ich finde: Man soll nicht zu viel planen, sondern einfach machen.

Das heisst, du bist seit 18 Jahren selbstständig? Kompliment!

Danke! Diese Konstanz habe ich sicherlich auch dem Umstand zu verdanken, dass ich jung Vater wurde und dadurch eine gewisse Stabilität brauchte. Ich konnte mir nicht leisten, bis in die frühen Morgenstunden zu feiern. Im Gegenteil. Ich ging früh ins Bett, stand früh auf und widmete meine Zeit der Arbeit und der Familie.

Was ist – grafisch gesehen – deine Handschrift? Wie würdest du deine Haltung beschreiben?

Meine Spezialität ist, dass ich alles mache. Ich gestalte für den Veloladen, den Schreiner, die Traube. Mich in verschiedenste Menschen und Geschäftsmodelle hineinzudenken, gefällt mir sehr. Immer noch! Du sprichst auch meine Haltung an. Ich arbeite sehr gerne reduziert, frage mich, was braucht es und versuche wegzulassen, was nicht passt und nicht absolut notwendig ist. Aufräumen ist mein Thema. Jetzt fällt es mir gerade auf: Mein Job ist im Grunde genommen Aufräumen (lacht). Aber auch das Spielerische ist ein wichtiger Teil von mir. Ich lasse mich gerne treiben und spiele mit den Elementen. Das hat weniger mit bewusstem Denken als vielmehr mit dem Machen zu tun. Im besten Fall vergesse ich, dass ich am Arbeiten bin und komme in einen Zustand, in dem es einfach fliesst. Ich tauche ab, und wenn ich wieder auftauche, ist etwas da.

«Ich tauche ab, und wenn ich wieder auftauche, ist etwas da.»

Du musst also nicht nur dein Handwerk beherrschen, sondern auch ein gutes Gespür für Menschen haben.

Ein gutes Gespür ist sicher wichtig. Noch wichtiger ist echtes Interesse an den Menschen und ihren Themen. Ich frage mich: Was ist das für ein Mensch? Worum geht es ihm? Wo steht sie jetzt? Wo will er hin? Wovon träumt sie?

Und wann ist der Moment wo du sagst: Jetzt ist gut, jetzt passts?

Wenn ich die klare Haltung spüre in meiner Arbeit, spürt es der Kunde meistens auch. Dann passt es. Ich kann nichts verkaufen, das ich selber nicht spüre. Es hat vieles mit Regeln zu tun, die ich aufstelle und konsequent anwende. Beim Gasthaus Traube zum Beispiel ergab sich die Druckform der Buchstaben, Worte und Sätze aus der Form einer Traube. Dieses Gestaltungselement zieht sich durch alle Elemente durch – egal ob es sich um die Speisekarte handelt, das Täfelchen an der Toilettentür oder einen Instagram-Post.

Wäre für dich jemals ein anderer Beruf in Frage gekommen?

Ich zog damals verschiedene Berufe in Betracht, schnupperte im kaufmännischen Bereich, Landschaftsgärtner hätte mich interessiert und Zimmermann. Im Grunde wollte ich aber schon immer ein Künstler sein. Ein Maler. Damals malte ich grosse, bunte Graffitis. Das Versinken im Zeichnen und Malen war immer schon ein Teil von mir. Aber auch die Typografie faszinierte mich früh. Buchstaben können lustig sein, steif oder stolz – das fand ich spannend. So hat mich das Grafische schon früh angezogen.

Und doch etablierst du dich mehr und mehr als Künstler.

Weil ich früh Vater wurde, ging es in erster Linie darum, Geld zu verdienen. Je älter mein Sohn wurde, desto mehr Zeit und Raum tat sich auf, um nicht nur das zu tun, was es unbedingt brauchte. So ergaben sich meine ersten Bilder mit Ansichten aus der Luft. Dabei konnte ich mein Hobby – das Gleitschirmfliegen – mit der Kunst verbinden. Konkret: Ich fotografierte während des Fliegens, wählte danach bewusst Ausschnitte aus diesen Bildern aus und malte diese im Atelier nach. Jetzt ist mein Sohn erwachsen, und ich könnte den Schritt zum Künstler wagen.

Deine Motive haben sich weiterentwickelt, von den Wolkenbildern hin zu Waldbildern.

Während der Coronazeit habe ich meine Fliegerei stark eingeschränkt. Ich wollte kein unnötiges Risiko eingehen. So fing ich an, mich mit den «Hinterhof-Ansichten» hier aus dem Atelier zu befassen. Für mich war dies ein wichtiger Schritt. Ich habe Erfolg mit meinen Wolkenbildern. Aber ich wollte mich nie nur mit Dingen beschäftigen, von denen ich weiss, dass sie funktionieren. Ich möchte mich weiterentwickeln. Wachsen. So sind es momentan eben diese eher dunklen Waldbilder, die mich interessieren. Das Unterholz.

Das Unterholz?

Wenn ich hier aus dem Fenster in den Wald hineinschaue, präsentiert sich mir nichts als Unordnung und Chaos. Äste wachsen wild durcheinander – es ist ein einziges Ghetto. Dieses Komplexe fasziniert mich. Es erinnert mich an den Zustand der Welt.

Was lösen deine Bilder in den Betrachter:innen aus?

Am schönsten finde ich, wenn jemand nicht genau formulieren kann, was ihn oder sie genau fasziniert. Ich freue mich, wenn meine Bilder visuell funktionieren. Daraus ergibt sich diese Spannbreite: Viele sehen in den Bildern etwas Helles, Leichtes. Andere sehen darin Dunkles, Depressives. Das finde ich sehr spannend.

Zum Schluss: Wie geht es weiter mit dir und deiner Arbeit? Gibt es weitere Projekte, auf die wir uns bereits freuen dürfen?

Auf jeden Fall! Ich weiss zwar nicht, ob ich es schon verraten darf, aber wir arbeiten derzeit intensiv an einem analogen Traube-Magazin, welches Geschichten rund um die Traube erzählt und im Herbst zum ersten Mal erscheinen soll. Und im Frühling 2023 kommt das Hotel – da steht für mich die ganze Signaletik im Vordergrund. Die Traube wird mich also glücklicherweise noch eine Weile begleiten. Es ist sehr cool, für einen Kunden alles gestalten zu dürfen. Auch in der Kunst geht es weiter und ich freue mich heute schon auf die Ausstellung im Werdenberger Kleintheater fabriggli diesen September.

Vielen Dank Adrian für dieses interessante Gespräch.

Interview: Doris Büchel
Fotos: Roland Lichtensteiger

Tabula Rasa

Was machst du am Morgen zuerst: die Träume der letzten Nacht sortieren Dieses Projekt würde ich gerne bespielen: Eine Ausstellung in der Tate Gallery of Modern Art in London. Das Schönste an meinem Beruf ist: Mit meiner Kreativität den Menschen zu ermöglichen, sich ihre Träume zu verwirklichen. Kopf in den Wolken oder Füsse auf dem Boden: Zuerst das eine, dann das andere. Analog oder digital: Analog.

 

Welche Kunstausstellung muss man derzeit gesehen haben: Die Retrospektive zu Georgia O'Keeffe in der Fondation Beyeler. Warum? Weil sie unglaublich schöne  Farbnuancen malte. Welches Buch soll man heute lesen: Das blinde Licht von Benjamin Labatut. Mit wem würdest du gerne einmal in der Traube essen? Sophia Loren, Spinoza, Francis Bacon und Shinichi Mochizuki. Was würdest du sie fragen: Sophia, darf ich dich küssen?