Buchen Wochenmenü

Präsent sein in dem, was bewegt

Als Künstlerin verziert sie Wände und Paneele mit ihren zauberhaften Fresken, so auch im Boutique-Hotel Traube; als Maltherapeutin unterstützt sie Patienten auf der Suche nach Balance und innerer Harmonie. Ein Besuch im Atelier von Heloisa Ackermann an der Rathausgasse in Bern.

 

von Doris Büchel

«Willkommen im Paradies», sagt sie, als ich sie an einem sonnigen Tag im August besuche. Tatsächlich strahlt nicht nur die Sonne, die gerade durch die geöffneten Fenster den Raum flutet, sondern auch Heloisa Ackermann, die mich bereits an der Tür erwartet. Ich bin nach Bern gekommen, um den Menschen hinter den artistischen Fresken an den Wänden des Boutique-Hotels Traube kennenzulernen. Wer ist Heloisa Ackermann? Was treibt sie an? Warum liess sie ihre Karriere in ihrer Heimat São Paulo zurück, um in Bern neu anzufangen? Wie kam sie von der Kunst zur Kunsttherapie? Fragen über Fragen.

Kaum haben wir uns herzlich begrüsst, tauchen wir auch schon mitten in das Gespräch ein. Das hat sicher mit Heloisas offenem und begeisterungsfähigen Wesen zu tun. Aber auch das inspirierende Atelier regt auf den ersten Blick die Sinne an. Es gibt so vieles zu entdecken – unzählige Pinsel und Farbtöpfe in den schönsten Farben und Formen, Bleistift-Zeichnungen, bunte Skizzen, gerahmte Bilder in allen Grössen und Varianten, eine riesige Leinwand voller Farbkleckse, die frischen Blumen auf dem Tisch. Trotz des kreativen Sammelsuriums wirkt alles geordnet, fein säuberlich organisiert, frisch und hell. Ich staune, stelle Fragen – und Heloisa sprudelt. «Entschuldigung», sagt sie fröhlich, «ich bin Brasilianerin und ziemlich leidenschaftlich». Wir lachen beide.

Gut, man könnte unser Treffen, welches sich auf drei Stunden ausdehnte, kurz zusammenfassen und schreiben, ihr Weg sei schnurstracks einer geraden Linie gefolgt. Schliesslich war sie immer schon zielstrebig und wusste bereits als Kind, dass sie Künstlerin werden wollte – was sie auch wurde und heute noch ist. Doch das wäre zu kurz gegriffen und würde der vielschichtigen Frau, die sie ist, nicht im Ansatz gerecht werden.

Es war so: Nach dem Studium in Industriedesign mit Schwerpunkt in Visueller Kommunikation an der Fakultät für bildende Künste in São Paulo, tat sich Heloisa – sie war damals zwanzig Jahre alt – mit zwei weiteren Künstlerinnen zusammen. Gemeinsam führten die Freundinnen sechzehn Jahre lang erfolgreich ein Atelier mit dreiundzwanzig Mitarbeitenden. Sie arbeiteten für bekannte Häuser und exklusive Kundinnen und Kunden, gestalteten Wände mit aufwendigen Fresken und designten Möbel. Während dieser Zeit bildete sich Heloisa zur Kunsttherapeutin weiter. «Einerseits, weil ich mich schon immer für Psychologie interessierte», erklärt sie mir, «andererseits, weil das Freskenmalen etwas sehr Persönliches ist.» Wie meint sie das? «Wenn ich in deinem Haus eine Wand designe, kreiere ich etwas für dich, in deinen vier Wänden. Das ist ein sehr intimer Vorgang. Es geht also nicht nur um die Technik, sondern vor allem darum, die Menschen zu spüren, mich in sie einzufühlen.»

Heloisa steht auf, holt einen dicken Ordner aus einem Schrank und legt ihn zwischen uns auf den Tisch, an dem wir mittlerweile Platz genommen haben. Das Leuchten in ihren Augen, als sie mir Zeitungsausschnitte, Fotos und Flyer von früher zeigt, verrät, wie prägend diese Zeit für die junge Frau von damals, aber auch für die Künstlerin von heute, war und ist. «Meine künstlerische Arbeit wäre nicht dieselbe, könnte ich nicht aus diesem reichen Fundus an Eindrücken und positiven Lebenserfahrungen aus meiner Zeit in São Paulo schöpfen. Dieses Lebensgefühl ist für mich nach wie vor eine wichtige Quelle der Inspiration.»

Das Geschäft lief gut, sie hätte wohl ewig in ihrem Atelier im Zentrum von São Paulo in ihrer Heimat Brasilien bleiben können. Hätte – hätte sie nicht ihren zukünftigen Mann, einen charmanten Schweizer Architekten, kennengelernt. Ihretwegen zog er, der perfekt Portugiesisch sprach, nach Brasilien, wo er mit renommierten Architekturbüros arbeitete. Nach der Geburt des zweiten Kindes entschieden sie sich, ihren Lebensmittelpunkt in die Schweiz zu verlegen. So zog die Familie im Jahr 2005 nach Bern. Heloisa Ackermann legte die Kunst vorerst beiseite. Sie wollte sich bewusst der Familie widmen. Erst nach und nach fing sie wieder zu malen an. «Mit der einen Hand hielt ich den Kochlöffel oder ein Baby, mit der anderen Hand malte ich», sagt sie und lacht. Am Anfang habe sie vor allem für sich selbst gemalt und die Bilder daheim aufgehängt. Immer wieder habe sie eines davon verkaufen können. Die Nachfrage stieg. So habe sie als Künstlerin wieder Schritt für Schritt Fuss gefasst – es folgten mehrere Ausstellungen in Galerien und bei Privatpersonen.

«Meine künstlerische Arbeit wäre nicht dieselbe, könnte ich nicht aus diesem reichen Fundus an Eindrücken und positiven Lebenserfahrungen aus meiner Zeit in São Paulo schöpfen. Dieses Lebensgefühl ist für mich nach wie vor eine wichtige Quelle der Inspiration.»

Es war im Jahr 2009, als sie den ersten offiziellen Auftrag für eine grossflächige Freske an der Wand eines exklusiven Hotels bekam. Heloisa Ackermann: «Zuerst wollte ich ablehnen. In Brasilien war ich Profi und hatte viel Selbstvertrauen. Aber in der Schweiz war alles anders: die Materialien, die Temperaturen, die Luftfeuchtigkeit.» Ausserdem habe sie einige Jahre lang nicht mehr professionell Wände bemalt. Zum Glück blieben die Auftraggeber hartnäckig und gewährten ihr viele Freiheiten. Also habe sie sich der Herausforderung gestellt. Und es funktionierte perfekt. Dieses Erfolgserlebnis gab ihr Mut. So folgte diesem ersten Auftrag der nächste, und dann der nächste, und der nächste.

Wie geht sie vor? Wie arbeitet sie? Zuerst lerne sie die Menschen hinter dem Projekt kennen. Sie sehe sich das Haus, den Raum, die Wand an. Dann setze sie sich hier im Atelier an den Tisch und beginne mit den Entwürfen. «Die Ideen kommen mir beim Zeichnen», sagt sie, «die Skizzen entstehen intuitiv auf dem Papier, während meine Gedanken zu den Menschen wandern, für die ich das Werk erschaffe.» Meistens sei es so, dass sich die Kundinnen und Kunden nicht für einen Vorschlag, sondern gleich für alle zwei, drei oder vier entscheiden würden. Und da ist es wieder, das herzliche Lachen.

Als Motiv wählt sie häufig organische Formen und natürliche Farbwelten, die sie der Natur entlehnt – Blumen, Bäume, Wolken, manchmal auch Tiere. Ihre Werke sind gross, anmutig und sinnlich. Sie malt direkt auf Wände, Leinwände und Paneele und verwendet dabei unterschiedliche Texturen, Farben, Materialien und Techniken. Jede Arbeit ist ein Unikat, kein Bild gleicht dem anderen. Ihre Werke finden sich in privaten Residenzen, in Hotels, Restaurants und Empfangsräumen von Arztpraxen und Kliniken. Viele davon werden in renommierten Architektur- und Wohnzeitschriften vorgestellt.

Seit 2018 ist Heloisa Ackermann in ihrem Atelier auch maltherapeutisch tätig. Die Trennung von ihrem Ex-Mann und dessen kurz darauf folgender Tod hatten sie in eine schwere Krise gestürzt. Da sorgte ein Zufall dafür, dass ihr die Box mit den alten Unterlagen ihres Kunsttherapiestudiums wieder in ihre Hände gelangte. Mit grossem Willen und Einsatz absolvierte sie daraufhin zusätzlich einen schulmedizinischen Lehrgang, der ihr ermöglichte, diese besondere Form der Kunsttherapie professionell anzubieten. Für wen ist die Therapie geeignet? Das Malen helfe Menschen dabei, belastende oder herausfordernde Themen aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Es unterstütze bei der Bewältigung von Angst, Wut und Trauer, Schlafstörungen, Stress und Depressionen. Auch ihr persönlich habe diese Art des Malens in ihrer schwierigen Zeit geholfen, nachdem sie mehrere Monate lang weder produktiv noch kreativ sein konnte. Heloisa macht eine kurze Pause, dann sagt sie in die Stille hinein: «Ich weiss, das hier ist keine Love-Story. Aber all das hätte nicht stattfinden können, hätte ich nicht völlig unverhofft meinen jetzigen Partner kennengelernt. Martin ist eine unglaubliche Stütze für mich. Er macht überall mit … jede Ecke hier in diesem Atelier ist auch ein Teil von ihm. Er ist ein wahrer Begleiter, ein Sonnenschein.»

Heute jongliert sie wieder voller Leidenschaft zwischen Kunst, Kunsttherapie im eigenen Atelier und ihrer Anstellung als Kunsttherapeutin im Therapeutischen Dienst der Universitären Psychiatrischen Dienste UPD in Bern. In ihren eigenen Worten formuliert sie es so: «Ich liebe den Austausch mit den Menschen und ich liebe es herauszuschälen, was meine Kunden brauchen. Ich möchte Freude und Wärme vermitteln, für Stimmung und Ambiente sorgen und ein gutes Klima ins Haus bringen. Wir alle brauchen einen Ort, wo es uns wohl ist und wo unsere Seelen auftanken können. Früher dachte ich: Ja, ich liebe die Kunst, aber die Welt kann auch ohne meine Bilder existieren. Durch meine Tätigkeit als Kunsttherapeutin sehe ich nun auch den Sinn dahinter. Eine Wand und ein Patient sind für mich deshalb fast dasselbe.» Wie meint sie das? «Ein Auftrag ist für mich dann abgeschlossen, wenn mich die Freske berührt. Dasselbe gilt für meine Patientinnen und Patienten: Wenn ich sie anschaue und spüre, dass es ihnen besser geht, bin ich zufrieden. Genau darum geht es auch in meinem Leitspruch: Presença naquilo que me move – Präsent sein in dem, was mich bewegt.»

Während sie spricht, blättert sie weiter in ihrem Ordner an die Stelle, wo sie die zahlreichen Dankesbriefe und Karten von glücklichen Kundinnen und Patienten sammelt. Sichtlich berührt liest sie einige Zeilen daraus vor. Dann sagt sie: «Diese Briefe und die vielen positiven Rückmeldungen sind meine Nahrung. Wenn mir ein Gast der Traube sagt, meine Fresken seien wie eine freundliche Umarmung; oder wenn sich jemand, der sehr krank ist, nach einer Therapiestunde mit einem handgeschriebenen Brief bedankt, weiss ich, dass ich die Menschen mit meiner Begabung berühren kann. Das ist für mich unbezahlbar.»

Für die Zukunft hat Heloisa viele Ideen. Das Wichtigste sei, in jedem Moment flexibel zu bleiben. «Ich war zuerst Unternehmerin, dann Unternehmerin und Mutter, danach nur Mutter, und jetzt bin ich Mutter und Unternehmerin.» Sie möchte alt werden, malen und dereinst ihren Kindern von einem guten Leben voller Erfolgsgeschichten erzählen. «Deshalb muss ich dafür sorgen, dass ich all diese unterschiedlichen Ebenen im Gleichgewicht halten kann.»

Wir wünschen es ihr von Herzen.

Tabula Rasa

Warum ist dein Beruf der beste Beruf? Weil er mich bewegt und mich erneuert. Was treibt dich an? Die Natur. Die Schönheit. Die Harmonie der Formen und Farben. Kontakte und Begegnungen mit Menschen. Wofür nimmst du dir richtig viel Zeit? Für meine Familie. Zum Lernen und Lesen. Was würdest du tun, wenn du eine Woche Zeit geschenkt bekommen würdest? An einem Meditations-Retreat teilnehmen. Wo respektive für wen würdest du gerne eine Freske malen? An einem öffentlichen Ort, für mehrere Personen. Was ist für dich Genuss? Die kleinen Momente ... Das Lächeln meiner Kinder, das Ende eines Werkes, die Herzen der anderen zu berühren. Welcher Film oder Song, welches Buch, Kunst- und Bauwerk inspiriert dich?

 

Film: Saimdang, Memoir of Colors, Song: Alle von Maria Bethânia, Buch: Viver na Alma von Joan Garriga, Kunst: Sebastião Salgados neueste Fotoausstellung Amazonas, Bauwerk: Projekte von Mario Kogan. Liest du Gedichte? Ja, viele und ständig. Warum? Weil es eine Kunstform ist, die es schafft, mich an andere Orte zu versetzen. Weil ich dadurch neue Farben und Gerüche entdecke ... Ich liebe es einfach. Mit wem würdest du gerne in der Traube essen? Mit meiner Familie, meinen Kindern Nicola und Chloé und meinem Partner Martin. Was würdest du sie/ihn fragen? Habt ihr die schönen Wände hier gesehen? Was für eine Umarmung! Und die liebevollen und aufmerksamen Details... was für eine Zuneigung (lacht).