Buchen

ETWAS ZWISCHEN PINK FLOYD UND BACH

Der Gedichtzyklus «novembrig» der Buchser Lyrikerin Elsbeth Maag beschreibt das Natürliche des Sterbens und Todes als eines selbstverständlichen Stadiums im immerwährenden Prozess von Werden und Vergehen. Nach der Übertragung des ursprünglich in Mundart geschriebenen Textes ins Hochdeutsche wurde der Zyklus vom Komponisten, Arrangeur und Interpreten Ulrich Zeitler neu vertont.

Wenn am Freitag, 3. November 2023 die Uraufführung von «novembrig» im TAK Theater am Kirchplatz im liechtensteinischen Schaan über die Bühne geht, werden zwei Menschen im Publikum aufgeregter sein als andere. Zum einen ist dies Elsbeth Maag, die Buchser Lyrikerin und Urheberin der Liedzeilen «novembrig», die schon so viele Menschen berührt und bewegt haben. «Ich werde in absolut freudiger Erwartung dort sitzen und mein Herz wird laut pochen», sagt sie an diesem milden Vormittag im Frühherbst, als wir uns zusammen mit dem Gamser Unternehmer und Kulturförderer Alois Bischof im Gartenzimmer der Traube zum Gespräch treffen. Auch für ihn wird dieser 3. November ein besonderer sein. «Ich werde vermutlich auch mit etwas Angst dort sitzen», verrät er. «Wir haben so viel Herzblut, Zeit und Arbeit investiert; ich habe es nun so oft gehört; und doch wird es an jenem Abend sein, als würde ich zum ersten Mal in die Worte und Klänge eintauchen.»

Doch fangen wir von vorne an.

Liebe Elsbeth, du bist die Urheberin von «novembrig». Erklärst du uns, was es ist und wie es dazu kam?
EM: Es war in den späten 1990er-Jahren, als ich vom Toggenburger Musiker und Komponisten Peter Roth die Anfrage erhielt, in meiner Werdenberger Mundart Gedichte zum Thema Leben und Tod zu schreiben. Ich nahm die Herausforderung an. Leben, Sterben, neues Wachsen, Tod – die Natur macht es uns vor. Während ich schrieb, wurde ich selbst zum Blatt, zum Wind, zum Stein – ich verschmolz mit der Natur. So entstand der Gedichtzyklus «novembrig». 1997 schrieb Peter Roth daraus eine liedhafte Komposition für gemischten Chor, Solosopran, Klarinette, Violoncello und Klavier. Über mehrere Jahre hinweg folgten zahlreiche Konzerte an unterschiedlichen Orten – die Vertonung wurde im schweizerdeutschen Raum zu einer Erfolgsgeschichte. Die unzähligen Rückmeldungen von Menschen, denen «novembrig» in schwierigen Zeiten geholfen hat, waren überwältigend. Irgendwann ist es dann eingeschlafen. Aber nicht gestorben. Jetzt kehrt es zurück. Anders. Wunderbar anders.

fiel ein Ast
jäh
in den Garten
mitten im Sommer
mitten ins Herz

Wie wurde aus dir und Alois ein Team? Ich meine, wie kam es zur Zusammenarbeit zwischen euch und dem Komponisten Ulrich Zeitler?
EM: Alois war von Anfang an von «novembrig» begeistert, und er ist ein gemeinsamer Freund von mir und Uli Zeitler. Vor ungefähr sechs Jahren kam er mit dem Vorschlag auf mich zu, die Mundartfassung in die hochdeutsche Sprache zu übersetzen. Ich konnte mir das überhaupt nicht vorstellen! «Geht nicht!», sagte ich. Aber dann reizte es mich doch und ich machte mich an die Arbeit (lacht). Wichtig war mir, dass jemand, dessen Muttersprache Hochdeutsch ist, meine Übersetzung kritisch begutachtete. Uli war der perfekte Mann dafür. AB: Peter Roths Vertonung aus dem Jahr 1997 hinterliess bei mir einen bleibenden Eindruck. Sie ging mir direkt ins Herz. So reifte in mir der Plan, Elsbeths wertvollen Text einem weiteren Kreis von Menschen bekannt zu machen. Ich ermutigte sie, ihr Werk ins Hochdeutsche zu übertragen mit dem Ziel, die neue Textfassung in einer Neuvertonung von Uli Zeitler im ganzen deutschsprachigen Raum zu verbreiten. Wie Elsbeth schon sagte, war es kein ganz einfaches Unterfangen (lacht).

Da Ulrich Zeitler zum Zeitpunkt dieses Gesprächs in Deutschland weilt, besuchte ich ihn im Voraus in einem Tonstudio in Rorschacherberg. Nach einem intensiven Arbeitstag hinter dem Mischpult nahm er sich Zeit für ein paar Fragen.

Lieber Uli, wie war deine Reaktion auf die Idee, Elsbeths Gedichtzyklus ins Hochdeutsche zu übersetzen und durch dich neu vertonen zu lassen?
UZ: Als ich im Jahr 2017 davon erfuhr, reagierte ich genau wie Elsbeth: «Geht nicht!» Dabei blieb es zunächst, obwohl ich Elsbeth bei ihrer Übertragung ins Hochdeutsche sozusagen lektoriert hatte. Es liess mir dann aber doch keine Ruhe, und so entstanden über die Jahre hinweg immer wieder neue Kompositionsversuche und Skizzen. Viel Material landete im Müll (lacht). Schliesslich meldete ich mich Anfang 2020 bei Elsbeth und Alois, denn plötzlich funktionierte es.

Wodurch zeichnet sich deine Neuvertonung aus?
UZ: Meine Neuvertonung geht völlig andere Wege als Peter Roths Version von damals. Sie bedeutete auch für mich kompositorisches Neuland. Mir war bewusst, dass das Viele, das zwischen Elsbeths Zeilen passiert, sinnvollerweise instrumental und weniger vokal auszudrücken war. Nur hatte ich über zwanzig Jahre lang fast nur noch Vokalmusik geschrieben und in meiner gegenwärtigen Tonsprache noch keine wirklich eigenständige Instrumentalmusik entwickelt.

Apropos eigenständig … wie viele Freiheiten gewährte dir Alois bei der Umsetzung?
UZ: Alois sagte, er wünsche sich etwas zwischen Pink Floyd und Bach (lacht). Nein, im Ernst, der Stil des «novembrig» entzieht sich bewusst einer einfachen Zuordnung. Vordringliches Ziel war es, den Text, seine Aussage und Atmosphäre, seinen Reichtum an Bildern und Farben musikalisch erfahrbar zu machen. Um dies akustisch umsetzen zu können, achtete ich bei der Besetzung stärker denn je auf eine ausgewogene Durchmischung von eher klassisch und eher am Jazz orientierten Musikerinnen und Musikern. Und ich holte einige ins Boot, die beide Bereiche intensiv pflegen. Natürlich habe ich dabei auch bewusst den einen und anderen besonderen Farbtupfer gesetzt.

es gibt den Frühling
und den Nachklang
es gibt den Sommer
und den Nachklang
es gibt den Herbst
und die Erinnerung
das Nachleuchten gibt’s
das Nachdenken

Elsbeth, ist das neue «novembrig» immer noch dein «novembrig»?
EM: Es kommt jetzt zwar ganz anders daher, aber ja, es ist immer noch mein «novembrig». Ich spüre immer noch diese starke Verbindung. Offen gesagt: Es überwältigt mich ein bisschen. Dieses Projekt wird ein Höhepunkt in meinem Leben sein.

Alois, als Förderer des Projektes möchte ich dich gerne fragen: Was sind – nebst der Voraufführung am 31. Oktober in der Katholischen Kirche in Buchs und der Uraufführung am 3. November 2023 im TAK – deine weiteren Pläne mit «novembrig»?
AB: Aus meiner Sicht als Sponsor des Projektes war es – nebst weiteren Konzerten im kommenden Jahr, auch in Deutschland – ideal und wünschenswert, einen Verlag zu finden, der aus dem Bestehenden zusätzlich eine CD samt Booklet herstellt und vertreibt. So können wir Interessierten ein umfassendes ästhetisches und alle Sinne anregendes Erlebnis bieten. Ich sehe es so: Durch die besondere lyrische und musikalische Auseinandersetzung mit dem Thema Lebensende erhält «novembrig» eine Form, auf die sich sowohl Leserinnen wie auch Zuhörer leicht einlassen können. Sie können Berührungsängste abbauen und die eigene Beziehung zum Leben – zu dem eben auch Verlust und Tod gehören – vertiefen. Um möglichst viele Menschen zu erreichen, ist es mir wichtig, «novembrig» sowohl literarisch, musikalisch, grafisch-künstlerisch als auch visuell durch Fotografien und Videos erlebbar zu machen. Mit etwas Glück können wir eine erste CD bereits im Rahmen der Uraufführung anbieten.

Lyrik als multimediales Ereignis? Spannend!
AB: Vor einiger Zeit war ich in St. Gallen in einer renommierten Buchhandlung. Mit unserem Projekt im Hinterkopf suchte ich die Lyrikabteilung. Sie zu finden war eine grosse Herausforderung. Letztendlich fand ich mich unterhalb einer Treppe vor einem verschwindend kleinen Gestell wieder, auf dem wenige Gedichtbände eingereiht waren. Das hat mich erschüttert. Ich fragte mich: Wann ging die Lyrik verloren? Und wo? Es tat mir richtig weh im Herz. Gleichzeitig wurde mir klar, dass es heute wohl mehr braucht, als Gedichte in Buchform herauszugeben. So entstand die Idee, den Gedichtzyklus zu vertonen. Letztendlich hat mich dieses Erlebnis dazu inspiriert, «novembrig» ins heutige Zeitalter zu transportieren.

EM: Ich kenne Alois schon lange. Er ist ein Macher. Er denkt gross, outside the box. Das war für mich am Anfang unseres gemeinsamen Projektes ungewohnt. Offen gesagt: Ich verstand nur Bahnhof, als ich ihm und Uli zuhörte und war völlig überfordert (lacht). Gleichzeitig wusste ich: Wenn die zwei es in die Hand nehmen, dann kommt es gut. Ich vertraue ihnen.

Elsbeth, wie entsteht Lyrik? Kann man Lyrik lernen?
EM: Ein Stück weit schon. Ich erinnere mich, dass ich einmal eingeladen war in einer Schule. Mein Auftrag war, den Schülerinnen und Schülern die Poesie näherzubringen. Im Anschluss an meinen Vortrag sagte ein Bub zu mir: Ach was, ein Stein ist ein Stein! Ich antwortete ihm: Nimm einmal verschiedene Steine in die Hand und schliesse die Augen. Hast du gewusst, dass es solche gibt mit einer ganz weichen Haut? Ob sich der Bub heute noch an die Begegnung erinnert, weiss ich leider nicht (lacht).

Zum Schluss möchte ich euch den Leserinnen und Lesern gerne etwas persönlicher vorstellen. Darf ich einen Versuch starten?
AB und EM: Gerne!

Alois, du bist Macher, Visionär und Kunstliebhaber …
AB: Nein, das bin ich alles nicht! Ich bin ein Träumer. Ich träume Tag und Nacht vor mich her. Ich habe keine Idee davon, wie etwas sein soll. Aber ich staune über Dinge … und manchmal entsteht daraus die Lust, diese Dinge mit den Mitteln, die mir zur Verfügung stehen, zu beeinflussen. Auf diese Weise konnte ich schon vieles umsetzen. Meine Grundhaltung lautet: Ich bin gwundrig und ich werde immer gwundrig bleiben.

Neuer Versuch: Elsbeth, du bist verträumt, bodenständig, liebst das Analoge. Du bist achtsam und gspürig …
EM: Jein, es ist nicht so, dass ich etwas sehe und direkt umsetzen muss. Ich habe nicht den Drang, jederzeit etwas zu schreiben, was mir gerade durch den Kopf geht. Ich fühle mich nicht oft von der Muse geküsst. Im Gegenteil: Lyrik schreiben ist Arbeit. Ich setze mich an den Tisch und nehme mir vor, zu schreiben. Dann steht plötzlich ein Wort auf dem Papier und dann das nächste. Und im besten Fall wird ein Gedicht daraus. Vielen Dank für das schöne Gespräch und viel Erfolg mit diesem wertvollen Projekt.

novembrig

«novembrig» beschreibt den Kreislauf des Lebens, von welchem der Tod ein natürlicher Bestandteil ist, und ist ein Herzensprojekt des Kulturförderers Alois Bischof. Unter dem bleibenden Eindruck des – ursprünglich in Mundart geschriebenen – Gedichtzyklus der Lyrikerin Elsbeth Maag reifte in ihm der Plan, diesen sinnlichen Text einem weiteren Kreis von Menschen bekannt zu machen. Er ermutigte die Dichterin, ihr Werk ins Hochdeutsche zu übertragen mit dem Ziel, die neue Textfassung in einer zeitgenössischen Neuvertonung durch den Komponisten Ulrich Zeitler im gesamten deutschsprachigen Raum zu verbreiten.

 

Zeitlers Komposition hört und spürt hinein in die atmosphärische Dichte, in das nicht Sagbare zwischen den Zeilen. Die musikalische Vielseitigkeit des Komponisten führt dabei zu einer nuancenreichen, unverwechselbaren und doch nicht zu fassenden Klangsprache.

Voraufführung: 31. Oktober 2023
in der Katholischen Kirche Buchs

Uraufführung: 3. November 2023
im TAK Theater am Kirchplatz Schaan