Buchen Wochenmenü

DER BLAUE KOSMOS DES HELMUT DITSCH

«Nicht, wie diese Welt ausschaut, zeigt Helmut Ditsch. Wie es in uns aussieht, ist aufregender», schrieb Reinhold Messner in einem persönlichen Essay über den in Vaduz lebenden argentinisch- österreichischen Künstler – den Maler, Musiker, Komponist, Athlet und Filmemacher Helmut Ditsch. Ein Gespräch über die tiefe Zuneigung zum Wasser und das Leben in der blauen Frequenz.

 

von Doris Büchel

Er ist eine Erscheinung, dieser Mann mit dem blond-grauen Haar, das ihm über die Schultern fällt, dem warmen und zugleich durchdringenden Blick, dem extravaganten Stil und der sonoren Stimme. Was er sagt, geht tief. Warum sich mit Small Talk aufhalten, wenn man direkt in den Seelensee eintauchen kann? Helmut Ditsch und ich treffen uns sporadisch beim Schwimmen. Meist zieht er schon seine Bahnen, wenn ich ins Wasser gehe, und er zieht sie immer noch, wenn ich meine Runden beendet habe. Bei unserer ersten Begegnung vor etwa sieben Jahren erzählte er mir von seinem Filmprojekt, das damals in den Startlöchern stand. Heute ist der Rohschnitt abgeschlossen. Im Jahr 2025 soll das Mammutprojekt mit dem einzig möglichen Titel «Helmut» Premiere feiern und anschliessend auf verschiedenen Filmfestivals gezeigt werden. Doch bevor wir jetzt, an diesem viel zu milden Februartag, in seinem Atelier, das auch sein Zuhause ist, näher auf den Film eingehen, erzählt er von seiner ersten grossen Liebe: dem Wasser.


Helmut Ditsch:
In Buenos Aires geboren und am Atlantik aufgewachsen, war das Wasser von Anfang an mein Element. Es war meine erste Liebe. Das habe ich aber erst verstanden, als ich mich zum ersten Mal in ein Mädchen verliebt habe. Dieses Gefühl … das Herzklopfen, die Schmetterlinge im Bauch, das Nicht-Begreifen … das kannte ich schon. Ich erinnerte mich an ein Erlebnis in meiner frühen Kindheit. Ich muss ungefähr zwei Jahre alt gewesen sein. Mama und Papa führten mich an der Hand durch die Dünen, als ich es zum ersten Mal bewusst hörte: das Rauschen des Ozeans. Ich hörte diesen unglaublichen Sound und dann, endlich, sah ich ihn auch. Er war wunderschön. Das war das erste Mal, dass ich mich verliebt hatte. Mein Sternzeichen ist Krebs, mein Aszendent Steinbock. Das passt, denn schon früh zog es mich in die hohen Berge der Anden. Ich war ein schlechter Felskletterer, aber ich war ein ausgezeichneter Eiskletterer. Im Eis fühlte ich mich zu Hause, ich brauchte keine Sicherung. Im Fels hingegen fühlte ich mich ohne Sicherung absolut unsicher. Mein Weg als Maler – mit dem Thema Eis, auf das ich mich spezialisiert habe – führte mich über die Berge zu den Gletschern. Aber zuerst kam das Wasser.

Wir sitzen vor dem geöffneten, bodentiefen Fenster mit Blick auf die Werdenberger Berge – Alvier, Margelchopf, Fulfirst. Helmut serviert Espresso, er wirkt entspannt, so wie das lichtdurchflutete Wohn-Atelier mit den wenigen ausgewählten Möbeln entspannt wirkt. Im Zentrum das Musikstudio mit dem schwarzen Flügel, den Gitarren, den Boxen. Überall Lichtspots im Raum verteilt. Wer Tag und Nacht Kunst schafft, braucht perfektes Licht, um nicht vom Wetter abhängig zu sein. An der Wand das Herzstück, das 1,5 mal 7,5 Meter grosse Bild mit dem Titel «Los Hielos», gemalt im Jahr 2002. Helmut trinkt einen Schluck Kaffee, dann erzählt er von seiner Kindheit, vom frühen Tod seiner Mutter und wie dieses Trauma seine Kunst beeinflusst hat.

Der frühe Tod meiner jungen Mutter hat meine Familie und mich sehr geprägt. Sie starb im Alter von 33 Jahren an Krebs – ich war damals sechs Jahre alt. Ich hatte das Glück, dass mein Vater, als er und meine beiden jüngeren Brüder die Asche meiner Mutter in einem Blumenbeet begruben, den Satz sagte: ‹Von jetzt an ist die Mama in jeder Blume, die ihr seht.› Das war eine pädagogische Meisterleistung. Er ist der einfühlsamste Mensch, den ich kenne. Ich selbst bin gar nicht so. Ich bin permanent in meiner Kunst eingeschlossen, anstatt auf die Menschen zuzugehen. Das hat auch damit zu tun, dass ich durch das frühe Trauma meine Sprache verloren habe. Ich stand unter Schock, dann kam eine Stiefmutter, die uns Buben quälte, und so stotterte ich bis zu meinem 15. Lebensjahr. In der Schule konnte ich keine mündlichen Prüfungen ablegen, so schlimm war es. Aber ich konnte mich anders ausdrücken. Irgendwann merkte ich, dass mir bestimmte Dinge sehr schwerfielen … rationales Denken zum Beispiel oder Mathematik. Dafür konnte ich Klavier spielen, singen, zeichnen und malen. Das fiel mir leicht. So leicht, dass ich nicht verstehen konnte, dass nicht jeder das konnte.

Wenn ich mich hier umsehe, erkenne ich dich überall. Da ist dein faszinierendes Gemälde an der Wand, da sind die vielen Farben, die Sportgeräte, die Nietzsche-Bücher auf dem Tisch, und das alles beobachtet von den Werdenberger Bergen. Kannst du mir mehr über deinen künstlerischen Ansatz erzählen? Wie erlebst du den kreativen Prozess, besonders wenn es sich um eine intensive Schaffensphase handelt, wie beim Malen eines deiner grossformatigen Bilder?

Ich gehöre keiner Schule an. Also auch nicht der Schule der Fotorealisten – wie Franz Gertsch. Ich gehe nicht vom Foto aus. Ich gehe, wenn schon, zurück zu den Romantikern, zu Caspar David Friedrich. Dort liegen meine Wurzeln. Ich male den Berg nicht möglichst detailgetreu, sondern mache ihn mir zu eigen. Ich muss ihn besteigen, bevor ich ihn malen kann. Ich muss im Wasser schwimmen, bevor ich die Wellen malen kann. Heidegger, der deutsche Philosoph, hat das sehr schön erklärt: sich das Ereignis zu eigen machen. Wenn ich also auf einen Berg steige, dann tue ich das in dem Bewusstsein, dass dieser Berg dann in mir ist. Wenn man mit grossen Formaten arbeitet, arbeitet man oft auf einem Gerüst. Das heisst, man ist sehr nah an der Leinwand. Da man aus dieser Nähe nur den Ausschnitt sieht, den man gerade malt, muss man das Bild in sich tragen. Die grossen Bilder fange ich immer links an. Und obwohl ich Rechtshänder bin, musste ich die Motorik links genauso lernen. Sonst werde ich nicht fertig.

Was meinst du?

Die Oberflächen meiner Bilder sind sehr homogen. Ich hinterlasse keine Spuren der Zeit. Den Himmel mit dem Pinsel und dem Stupfen so zu malen, dass es aussieht, als wäre er in einem Zug gemalt worden, bringt mich an die Grenze des Menschenmöglichen. Warum? Weil die Farben schnell trocknen und man die Übergänge sieht, wenn ich nicht zügig arbeite. Diesen Himmel habe ich in 36 Stunden ohne Pause gemalt. Dabei gerate ich in eine Art Trance, esse nichts, höre nichts, schlafe nicht, überwinde jeden Schmerz. Ich befinde mich in einem Musikrausch und trinke bis zu sechs Liter Wasser am Tag.

«In Buenos Aires geboren und am Atlantik aufgewachsen, war das Wasser von Anfang an mein Element. Es war meine erste Liebe.»

Wasser ist essenziell für dich.

Es ist, als würde ich Informationen durch es transportieren. Wenn ich male und dabei literweise Wasser trinke, werde ich selbst zu Wasser. Ich schalte mein Gehirn komplett aus. Wenn ich aus der Trance aufwache, erschrecke ich, weil ich nicht mehr weiss, wie ich das alles geschafft habe. Ich weiss nicht, woher diese Kraft kommt, aber sicher nicht aus dem Gehirn … vielleicht aus einer Art Zwischenwelt, aus einer kreativen Energie. Danach bin ich geistig und körperlich völlig erschöpft. Aber nur so kann ich das tun, was ich liebe. Indem ich mich verausgabe. Da macht es für mich keinen Unterschied, ob ich ein Bild, einen Film oder ein Musikstück erschaffe. Das ist auch der Grund für mein intensives körperliches Training. Ich muss topfit sein, um auf diesem Niveau malen zu können.

In deinen Bildern dominiert die Farbe Blau.

In der Natur sehen die Farben natürlich anders aus als in meinen Bildern. Mein Blau, insbesondere das Dunkelblau, kommt daher, dass ich in einer blauen Frequenz lebe. Auf 7000 Meter Höhe ist die Welt dunkelblau. Das habe ich auf dem Aconcagua erlebt, dem höchsten Berg Amerikas. Auf dem Gipfel habe ich zum ersten Mal in meinem Leben vor Glück geweint. Mir wurde klar, dass mein ganzer Körper, meine Milliarden von Zellen, Danke schrien. Danke, Mutter, dass du mir das Leben geschenkt hast. Danke, Mutter Erde, dass du uns allen die Chance gegeben hast, zu sein. Im Dunkelblau bin ich zu Hause. Höhenbergsteiger und Schwimmer wissen, was ich meine. Ich habe nicht nur ein fotografisches Gedächtnis und ein absolutes Gehör, ich bin auch Synästhetiker. Das heisst, jede Farbe hat für mich eine Klangfrequenz. Wenn ich meine blauen Bilder male, komponiere ich parallel dazu Musik am Klavier. Die Leinwand ist meine Partitur. Und wenn meine Sehkraft nach einigen Stunden nachlässt, halte ich mir ein orangefarbenes Tuch vor die Augen. Durch die Komplementärfarbe sehe ich das Blau dann wieder wunderbar.

Lass uns über den Film sprechen. Was hat dich zu diesem Mammutprojekt inspiriert und wie hat dich der ganze lange Prozess persönlich beeinflusst?

Mit diesem Film erfülle ich mir einen langgehegten Traum. Er ist meine Hommage an die beiden Frauen, die ihr Leben für mich gegeben haben – meine Mutter Inge und meine Frau Marion, die im Jahr 2009 ebenfalls viel zu früh an Krebs gestorben ist. Aber es gibt noch eine dritte weibliche Präsenz, die allgegenwärtig ist: Mutter Natur – symbolisiert durch die ewige Wiederkehr im Kreislauf des Wassers. Das heisst, der Ozean spielt eine ebenso zentrale Rolle wie die Berge und die Wüste – es sind Orte der Wiedergeburt. Dieser Film, das bin ich. Ich investiere seit sieben Jahren alles in diesen Film, exponiere mich völlig, zeige meine Seele. So sehr, dass jeder andere Titel als «Helmut» falsche Bescheidenheit wäre. Wer meine Weltsicht verstehen will, muss diesen Film sehen. Der Arbeitstitel war «Beyond The White» – «Jenseits des Weissen». Darum geht es: Helmut Ditsch sieht nie nur weiss, wenn er vor der Leinwand steht. Es ist mein erstes Werk als Cinematograph, und ich bin stolz darauf, dass ich das meiste selbst gemacht habe – vom Drehbuch über die Regie bis zu Musik und Ton. Unbewusst habe ich das wahrscheinlich schon mein ganzes Leben gemacht, zum Beispiel beim Spielen mit meinen Brüdern. Der Helmut vor sieben Jahren war ein Verletzter, ein Trauernder, dessen Wunde nicht heilen wollte. Mit der letzten Filmszene konnte ich diese Wunde schliessen. Ich habe meinen Frieden gefunden.

Helmut, für wen machst du deine Kunst?

In erster Linie male ich für mich. Und dann für die Menschen. Kunst ist für alle da. Deshalb liebe ich auch meine Ausstellungen an öffentlichen Plätzen, wo sich vom streunenden Hund bis zur Dame der High Society alles trifft. Sehr wichtig ist mir auch die Förderung junger Künstlerinnen und Künstler, die sich eine Ausbildung nicht leisten können. Zu diesem Zweck habe ich im Jahr 2008 die «Helmut Ditsch Fan Fabrica de Arte Nacional» gegründet, ein Labor für Kunst, Musik, Philosophie und Hightech-Design. Man braucht keine Ausbildung, um Sensibilität zu lernen. Ein Akademiker ist nicht sensibler als ein Bauer auf der Alm, der kaum spricht, nicht liest, aber wunderbar singt und musiziert. Ich fühle mich ihm verbunden, weil auch er vielleicht durch die harte Realität die Sprache verloren hat.

Danke Helmut für deine Zeit und das schöne Gespräch.

Tabula Rasa

Eine Charaktereigenschaft, die nicht jeder von dir kennt? Meine Grosszügigkeit. Dein liebstes Reiseziel? Buenos Aires. Welches Talent hättest du gerne? Ich würde gerne fliegen können wie ein Vogel. Woran denkst du beim Schwimmen? An alles und nichts. Wo schwimmst du am liebsten? Im Atlantik. Wann warst du das letzte Mal richtig überrascht? Heute. Warum? Das sage ich nicht, es ist eine Überraschung!

 

Welches Kunstwerk oder Buch, welcher Film oder Song hat dich in letzter Zeit inspiriert? Die Gedichte von Hölderlin. Was ist das schönste Kompliment, das dir jemand machen kann? Mir zu zeigen, dass ich ihn oder sie glücklich gemacht habe. Was würdest du vermissen, wenn du aufhören müsstest? Alles. Mit wem würdest du gerne in im Gasthaus Traube essen? Mit meiner Künstlerkollegin Zuzana Praus. Was würdest du sie fragen? Hat’s gemundet?

Zur Person

Der 1962 in Buenos Aires geborene Künstler Helmut Ditsch lässt sich in keine Schublade stecken. Kein Wunder also, dass er den Kunstmarkt meidet und sich ausschliesslich im primären Markt bewegt, um frei von Dogmen und Zeiterscheinungen zu sein. Nachdem der Maler, Musiker, Komponist und Extremsportler 1988 nach Wien übersiedelt war, schloss er 1993 sein Studium der Malerei an der «Akademie der Bildenden Künste» mit Auszeichnung ab. In Meran lernte er den Bergsteiger Reinhold Messner kennen, mit dem er in der Folge immer wieder zusammenarbeitete. Im Jahr 2000 verlegte er sein Atelier von Wien nach Irland, wo er neben der Malerei auch als Mode- und Flugzeugdesigner sowie als Weinproduzent tätig war und ist.

 

Mit dem Verkauf seines Gemäldes «Das Meer II» wurde Helmut Ditsch zum teuersten argentinischen Künstler. 2017 begann er sein bisher grösstes Gemälde. Auf einer 2 mal 12 Meter grossen Leinwand malte er den berühmten Perito-Moreno-Gletscher. 2025 wird sein erstes Werk als Cinematograph «Helmut» uraufgeführt. Der Film ist eine Hommage an seine Mutter Inge, die im Alter von 33 Jahren an Krebs starb, und an seine Frau Marion, die 2009 ebenfalls an Krebs verstarb.

Helmut Ditsch lebt in Vaduz. Wer ihn besuchen und seine Werke betrachten möchte, ist herzlich willkommen. Eine Anmeldung an helmut@helmut-ditsch.com genügt.